Kamerascheu

Pressekonferenzen, Veranstaltungen und Selfies: Politik besteht aus Bildern und mit Bildern wird Politik gemacht. Aufnahmen sind eine einfache, aber wirksame Maßnahme, um sich zu präsentieren. Auch in Untersuchungsausschüssen wird oft geknipst – aber auf Fotos und Videos finden sich seit einiger Zeit immer öfters leere Sessel.

Der Untersuchungsausschuss gilt als stärkstes Instrument des Parlaments, um die Exekutive, speziell die politische Regierung, zu kontrollieren. Idealerweise sollen anhand von Aktenlieferungen und Befragungen die politische Verantwortung des untersuchten Handelns geklärt und Empfehlungen für künftiges Handeln ausgesprochen werden. Doch bis das passiert, finden zunächst zahlreiche Sitzungen statt – in der Regel mit medialer Begleitung.

Seit Jahren wird gefordert, den U-Ausschuss für Interessierte (mittels Livestream) zugänglich zu machen. Bis heute konnten sich die Parteien allerdings nicht auf eine Änderung der Geschäftsordnung einigen. So sind und bleiben die Befragungen “nur” medienöffentlich. Journalisten und Journalistinnen setzen sich in das Ausschusslokal oder in den Medienraum, hören zu und berichten über die Befragungen. Dafür braucht es freilich auch Bilder.

Schnell rein, schneller wieder raus

Weil journalistische Ton- und Bildaufnahmen während der Befragungen aber unzulässig sind (nur auf dem Weg zum Lokal sind sie erlaubt), hat man sich auf den “Kameraschwenk” geeinigt. Diese parlamentarische Praxis sieht vor, dass Journalist:innen (Fotograf:innen, Kameraleute) vor Beginn der Befragung im Ausschusslokal Fotos und Videos machen können.

Ist die Tür mal geöffnet, haben Medienvertreter:innen für ihre Aufnahmen von der Auskunftsperson, den Abgeordneten und der Vorsitzbank nur wenige Sekunden Zeit. Dann wird die eigentlich noch gar nicht mit einer Frage gestartete Befragung, die für den “Kameraschwenk” unterbrochen wurde, wieder aufgenommen.

Der “Kameraschwenk” wird den Journalist:innen aber nur gewährt, wenn die Auskunftsperson diesem auch zustimmt (Stichwort Wahrung der Persönlichkeitsrechte) – das gilt auch bei Befragungen von früheren und amtierenden Regierungsmitgliedern. Gerade im aktuell laufenden ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss zeigt sich allerdings, dass Politverantwortliche kamerascheu geworden sind.

Ablehnung noch Ausnahme

Seit Herbst 2018 berichte ich (mit Kolleg:innen) fast durchgehend über die Befragungen in U-Ausschüssen (BVT, “Ibiza” & ÖVP-Korruption). An meiner Seite befindet sich immer eine Fotografin oder ein Fotograf, die/der das Geschehen bildlich festhält. Es war deshalb sehr einfach, herauszufinden, welche früheren und amtierenden Minister:innen einen “Kameraschwenk” zuließen und welche nicht.

BVT-U-Ausschuss: "Kameraschwenk"

Im BVT-U-Ausschuss, in dem es um die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ging, hat nur eine frühere Ministerin (Maria Fekter, ÖVP) einen “Kameraschwenk” abgelehnt. Die restlichen neun (Ex-)Regierungsmitglieder (zehn Befragungen) konnten auf dem Platz der Auskunftsperson abgelichtet werden.

"Ibiza"-U-Ausschuss: "Kameraschwenk"

Ähnlich sieht es ein Jahr später im “Ibiza”-U-Ausschuss aus. Zu den Handlungen im Zuge der “Ibiza”-Affäre wurden viele (Ex-)Regierungsmitglieder befragt, einige von ihnen wurden zweimal geladen. In 20 Befragungen waren 19 “Kameraschwenks” möglich, nur ein frühere Bundeskanzler (Christian Kern, SPÖ) lehnte ab.

Bitte keine Bilder

Der ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss sticht hingegen mit Ablehnungen hervor. Sowohl amtierende als auch frühere Minister:innen ließen einen “Kameraschwenk” nicht zu. Bei fünf von elf (Ex-)Minister:innen konnten Journalist:innen lediglich einen leeren Sessel samt dem “Auskunftsperson”-Schild fotografieren. Unter diesen fünf Personen befanden sich auch der amtierende Bundeskanzler (Karl Nehammer, ÖVP) und der amtierende Finanzminister (Magnus Brunner, ÖVP).

ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss: "Kameraschwenk"

Schließt man die bisher befragten Mitglieder der Übergangsregierung unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein (Eduard Müller, Eckart Ratz, Wolfgang Peschorn) von dieser Auswertung aus, nehmen ministerielle “Kameraschwenk”-Ablehnungen überhand. Mit Markus Wallner (ÖVP) wollte auch ein Landeshauptmann nicht fotografiert werden.

Übersicht: "Kamerschwenk" bei Auskunftspersonen

Die Tendenz Richtung “Nein zu Kameraschwenks” mag daran liegen, dass sich Auskunftspersonen nicht mit den Untersuchungen in Verbindung bringen lassen wollen. Dennoch werden frühere und amtierende Regierungsmitglieder nicht als Privatpersonen befragt, sondern in ihren (früheren) Funktionen als Ressortchef:innen.

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