129 Tage

Zeit spielt in der Politik eine wesentliche Rolle – insbesondere, wenn man keine hat. Im Fall “Ibiza”-U-Ausschuss gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wurde dieses Dilemma noch deutlicher als sonst: Vier Monate vor dem Ende der Befragungen entschied der Verfassungsgerichtshof (VfGH), dass das Finanzministerium dem Parlament bestimmte E-Mail-Postfächer übermitteln muss. Doch der Ressortchef (ver-)zögerte. Eine Chronologie.

4. März 2021 kurz nach 12 Uhr, PR-Beraterin Gabriela Spiegelfeld sitzt noch im “Ibiza”-U-Ausschuss. Seit gut drei Stunden wird die Netzwerkerin zu Wahlkampfspenden an die ÖVP befragt. Zwischen einer Geschäftsordnungsdebatte und der Frage, ob sie, Spiegelfeld, wisse, wer die von ihr organisierten “Frühstückstreffen” mit potenziellen ÖVP-Spender:innen bezahlt hat (“Das kann ich Ihnen nicht beantworten”), twittert der Verfassungsgerichtshof: “Der Finanzminister muss E-Mails von Ressortbediensteten vorlegen.”

Aktenlieferungen gehören neben den Befragungen zu den Kernelementen eines U-Ausschusses, und nicht immer läuft die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Behörden friktionsfrei. Doch im Laufe des “Ibiza”-U-Ausschusses erreichten Meinungsverschiedenheiten ein neues Level. Wer verstehen will, warum das Höchstgericht Anfang März 2021 bei einer Aktenvorlage aus dem Finanzministerium das (vor-)letzte Wort gesprochen hat, muss in die Vergangenheit blicken.

Von Anfang an umkämpft

Am 22. Jänner 2020 wurde der “Ibiza”-U-Ausschuss eingesetzt, fünf Tage später erhielten zig Behörden, darunter auch das Finanzministerium, einen grundsätzlichen Beweisbeschluss. Akten und Unterlagen, die im abstrakten Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen, müssen vorgelegt werden. Weil zu dieser Zeit der U-Ausschuss aber nur eingeschränkt existierte – ÖVP und Grüne strichen am 22. Jänner 2020 wegen “Unzulässigkeit” Teile des Untersuchungsgegenstandes, am 3. März 2020 widersprach der VfGH der Koalition -, wurde am 9. März 2020 ein ergänzter grundsätzlicher Beweisbeschluss verschickt.

Darin wurde auch Finanzminister Blümel aufgefordert, “sämtliche mit dem Untersuchungsgegenstand bzw. den Beweisthemen in Zusammenhang stehende[n] schriftliche[n] oder automationsunterstützt gespeicherte Dokumente, ‘Handakten’, Berichte, Korrespondenzen aller Art inkl. E-Mails, […] Protokolle von Besprechungen und Sitzungen aller Art, Inhalte elektronischer Aktenführung und dergleichen” an das Parlament zu liefern.

Politik des leeren Papiers

Blümel legte Akten und Unterlagen vor. Doch der Umfang der Lieferungen war nach Ansicht von SPÖ und NEOS zu gering. Die Parteien forderten deshalb sowohl am 30. September als auch am 11. November 2020 den Finanzminister auf, unter anderem konkret benannte E-Mail-Postfächer aus dem Ministerium zu liefern. Auf beide Schreiben antwortete Blümel, dass bereits alle Unterlagen, die in unmittelbarem, materiellem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen, geliefert worden seien.

Die U-Ausschussmitglieder vertraten die Auffassung, dass der Finanzminister seiner Vorlagepflicht nicht oder ungenügend nachgekommen ist. Am 11. Jänner 2021 wurde ihm deshalb eine letzte Frist für die Aktenlieferung gegeben: Zwei Wochen. Aber auch diesmal ließ Blümel die Zeit verstreichen und begründete die Leermeldung damit, dass seiner Meinung nach bereits alles geliefert wurde, was geliefert werden musste.

Schon 2015 hat der Verfassungsgerichtshof im Zuge des Hypo-U-Ausschuss geklärt, dass das informationspflichtige Organ – hier das Finanzministerium – beurteilen muss, ob es mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand vorlagepflichtig ist und wenn ja, in welchem Umfang die Vorlagepflicht besteht. “Besonders schutzwürdige Informationen” können klassifiziert übermittelt werden. Der U-Ausschuss hat dafür zu sorgen, dass die Geheimhaltungsinteressen gewahrt bleiben.

Zeit wird knapp

Vier Wochen später riefen SPÖ, FPÖ und NEOS am 11. Februar 2021 den Verfassungsgerichtshof an. Die Höchstrichter:innen sollen mehr als ein Jahr nach dem ersten grundsätzlichen Beweisbeschluss entscheiden, ob der Finanzminister zu Recht die Vorlage von Akten und Unterlagen (bestimmte E-Mail-Postfächer nach ergänzenden Beweisbeschluss von November 2020) teilweise oder gänzlich unterlassen hat. Der Spruch des Höchstgerichts soll den seit Monaten gärenden Konflikt um Beweise beenden – bevor der U-Ausschuss endet.

Grundsätzlich wird das parlamentarische Kontrollinstrument für 14 Monate eingesetzt. Die Minderheit kann einen Antrag auf eine dreimonatige Verlängerung stellen. Für eine weitere Verlängerung um drei Monate wird eine Mehrheit benötigt. Der “Ibiza”-U-Ausschuss läuft seit Jänner 2020 und wurde wegen des ersten Coronavirus-Lockdowns bereits einmal außertourlich verlängert, indem die Monate März bis Mai 2020 nicht in die Dauer von 14 Monaten eingerechnet wurden.

Dass dieser U-Ausschuss nicht 20 Monate arbeiten wird, galt bereits Anfang 2021 als fix. Die ÖVP wollte nicht weiter auf der (medien-)öffentlichen “Ibiza”-Bühne in die Ecke gedrängt werden und die Grünen wollten wegen schlechter Umfragewerte keinen Koalitionsbruch riskieren. So war es, dass am 26. März 2021 eine Verlängerung um drei Monate durch die Einsetzungsminderheit (SPÖ & NEOS) erfolgte, Anträge für eine weitere Verlängerung um drei Monate aber ohne Mehrheit blieb.

Pflicht des Finanzministers

Zurück zum Höchstgericht: Dieses erhielt am 11. Februar 2021 den Antrag, in der Meinungsverschiedenheit zwischen Minister Blümel und der Opposition zu entscheiden. Grundsätzlich haben die Höchstrichter:innen dafür vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde, Zeit. Für ihre Entscheidung benötigte das Richtergremium allerdings nur 21 Kalendertage bzw. 15 Werktage.

Am 3. März 2021 kamen die VfGH-Mitglieder zum Schluss, dass der Finanzminister verpflichtet ist, “dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E. G., A. M. und G. B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T. S., E. H.-S., M. K., B. P. und M. L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen”. Private E-Mails und jene Dateien, die dem “Ibiza”-U-Ausschuss bereits vorgelegt wurden, müssen allerdings nicht geliefert werden.

Das Erkenntnis wurde am 4. März 2021 während der “Ibiza”-Befragung von PR-Beraterin Spiegelfeld veröffentlicht. Ab diesem Zeitpunkt läuft der U-Ausschuss inoffiziell (wohlwissend, dass er mindestens einmal durch die Minderheit verlängert wird) noch bis Ende September. Die Beweisaufnahme endet allerdings schon Mitte Juli – danach ist es nicht mehr möglich, neue Aktenlieferungen entgegenzunehmen oder Auskunftspersonen zu befragen. Wenn der Finanzminister rasch liefert, könnten etwaige Unterlagen noch medienwirksam im U-Ausschuss thematisiert werden.

Zäh wie Kaugummi

Doch das Ressort hatte noch rechtliche Bedenken. Nicht jede Korrespondenz der erwähnten E-Mail-Postfächer könne abstrakt U-Ausschuss-relevant sein, hieß es. Man wolle klären, wie mit E-Mails privater Natur umgegangen werden soll. Auf Wunsch des Finanzministeriums diskutierten am 10. März 2021 “externe Rechtsexperten” Lösungsvorschläge. Eine Woche später wurde Blümel von seinem Kabinett über die Ergebnisse informiert: Eine gemeinsame Lösung mit dem Parlament (Plan A) oder eine pauschale Klassifizierung aller Akten und Unterlagen (Plan B).

Am 17. März erteilte der Finanzminister dem Präsidenten der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, den Auftrag, Plan A anzubahnen und umzusetzen. Einen Tag darauf wurde der Verbindungsdienst im Finanzministerium-Generalsekretariat angewiesen, die geforderten Akten und Unterlagen für die Vorlage an den U-Ausschuss in der Klassifizierungsstufe 3 (“geheim”) vorzubereiten. U-Ausschuss-relevante E-Mails mussten dafür an die eigens dafür eingerichtete E-Mail-Adresse “ua_ibiza_2020-vfgh@bmf.gv.at” geschickt werden.

Klassifizierungsstufen gemäß Parlament

Klassifizierungsstufen gemäß Parlament

Grundsätzlich wird die Klassifizierung von Akten durch die liefernde Stelle vorgenommen. Mit der Geheimhaltungsstufe 3 weist eine Behörde etwa daraufhin, dass die Preisgabe der Informationen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit erheblich schädigen könnte. Aus Sicherheitsgründen werden Stufe-3-Dokumente nur in Papierform geliefert. Dadurch ist das Sichten des Materials im Gegensatz zu elektronischen Dateien nur eingeschränkt möglich. Hinzukommt, dass beim Vorbringen von Unterlagen der Stufe 3 im U-Ausschuss eine “geheime Befragung” stattfindet. Medienvertreter:innen müssen den Raum verlassen.

Die Leiterin des Verbindungsdienstes, Heidrun Zanetta, schilderte später, dass das Kabinett von Blümel die Anweisung gegeben habe, alle Akten und Dokumente in der Klassifizierungsstufe 3 abzugeben, “weil es noch nie der Fall war, dass wir gesamte E-Mail-Postfächer liefern mussten. Sonst ist es so, dass die Klassifizierung jeder Bedienstete oder jede Bedienstete selbst als Eigentümer des Dokuments vornimmt.”

Exekutionsantrag statt Datensuche

Plan A war also eine Peschorn-Parlament-Lösung und Plan B eine pauschale Klassifizierung aller Akten und Dokumente, die nach dem Erkenntnis des VfGH geliefert werden müssen (private E-Mails explizit ausgeschlossen). Das Finanzressort argumentierte eine pauschale Klassifizierung damit, dass nur auf diese Weise die verfassungsgesetzlichen Rechte der betroffenen Bediensteten gewahrt werden könnten (nach dem VfGH-Erkenntnis – und auch viel später – ließ Blümel weitere Expert:innenmeinungen zur “Klärung von Rechtsfragen” in Höhe von 180.226,79 Euro einholen. Nur drei von mindestens fünf Gutachten sind öffentlich auffindbar [hier, hier und hier]- diese drei stützen die Vorgehensweise des Finanzministers, von den restlichen ist nichts bekannt)

Zuerst war allerdings Peschorn am Zug. Am 19. März 2021 schlug er dem Verfahrensrichter des U-Ausschusses, Wolfgang Pöschl, vor, die E-Mail-Postfächer in einen Datenraum zu liefern und diese danach anhand bestimmter Stichwörter “zielgerichtet” zu durchforsten. Damit könnte man die relevanten von den irrelevanten E-Mails (“privater Natur”) trennen. Laut Blümel blieb das Schreiben unbeantwortet, laut Peschorn wurde sein Vorschlag “inoffiziell” abgelehnt. Plan A ist gescheitert und die ausstehenden Akten wurden drei Wochen nach dem Erkenntnis noch immer nicht geliefert.

Am 22. März 2021 stellte der U-Ausschuss daraufhin den Antrag, dass der VfGH beim Bundespräsidenten die Exekution des Erkenntnisses vom 3. März 2021 beantragen möge. Während Peschorn am 2. April 2021 nochmals einen letzten Versuch startete, seinen Datenraumvorschlag an den U-Ausschuss zu bringen, druckte der Verbindungsdienst des Finanzressorts bis zum 5. April 2021 zigtausende Seiten aus - wie es Plan B vorgesehen hat. Wegen "rechtsstaatlicher Erwägungen" blieb der Papierberg aber in der Himmelpfortgasse. Man wollte das Erkenntnis des VfGH abwarten, beantwortete Blümel eine parlamentarische Anfrage.

In einer Stellungnahme an den VfGH argumentierte Peschorn im Sinne des Finanzministers erneut, dass nicht jede E-Mail-Korrespondenz abstrakt relevant für die Untersuchungen des "Ibiza"-U-Ausschuss sein könne, und man deshalb nochmals selektieren müsse (E-Mails "privater Natur"). Doch diese Argumentation lief ins Leere: Am 5. Mai 2021 entschied der Verfassungsgerichtshof: Man werde die Exekution des Erkenntnisses vom 3. März 2021 bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen beantragen.

In diesem Erkenntnis hielten die Höchstrichter:innen fest, dass der Finanzminister für den Umfang der Aktenvorlage zuständig ist. Falls der Ressortchef aber nicht alle geforderten Unterlagen liefern kann, muss er dem U-Ausschuss - und nicht dem VfGH - die Nichtvorlage begründen. Dieser Begründungspflicht ist Blümel aber nicht nachgekommen - weder vor noch nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshof vom März 2021.

Plötzlicher Anruf

Am 6. Mai 2021 beantragte das Höchstgericht die Exekution des Erkenntnisses vom 3. März 2021. Der zuständige Exekutor Van der Bellen stellte sich noch am selben Tag vor die Kameras und sprach von "etwas [...],  was es in dieser Form  in unserem Land noch nicht gegeben hat". Ausführlich erklärte er, was geschehen war und was nun zu tun sei. Doch der Finanzminister habe ihm, Van der Bellen, nun persönlich versichert, dass er dem Auftrag des VfGH unverzüglich entsprechen wird. Sollte das passieren, erübrige sich die Exekution, sagte der Bundespräsident.

Rede des Bundespräsidenten vom 6. Mai 2021

Rede des Bundespräsidenten vom 6. Mai 2021

Das persönliche Gespräch zwischen Blümel und dem Staatsoberhaupt fand offenbar kurz vor der TV-Übertragung statt. Denn in der ersten Fassung von Van der Bellens Rede hieß es noch, dass er sich mit seinen verfassungsrechtlichen Beratern abstimmen und die Bevölkerung "zeitnah" über die nächsten Schritte informieren werde. Aber in seiner TV-Ansprache erwähnte Van der Bellen bereits das Gespräch mit Blümel - später wurde auch die auf der Website veröffentlichte Rede angepasst.

Zu geheim und zu schwer

Noch am 6. Mai 2021 lieferte das Ressort die noch ausstehenden Akten im Umfang von 30 großen Umzugskartons bzw. 204 Ordnern. Die Transportkosten beliefen sich auf 420 Euro. Zudem verursachte die Aktenvorlage (65.000 Seiten) laut einer Anfragebeantwortung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) weitere Kosten in Höhe von 6.555,61 Euro. Aufgrund der Geheimhaltungsstufe 3 (nur in Papierform) und der noch zu erwartenden Lieferungen mussten nämlich zusätzliche Tresore aufgestellt werden. Und weil die Tresore auch schwer sind, wurde im Boden ein Stahlträger als lastverteilendes Element eingebaut. Der Umbau erfolgte am 20.05.2021.

Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen

Der Papierhaufen war der Opposition und den Grünen ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass Anfang Mai nur noch wenig Zeit bleibt, bestimmte Dokument zu sichten, um sie im U-Ausschuss - auch medienwirksam - zu thematisieren: Wegen der hohen Geheimhaltungsstufe ist die Recherche mühsam und zeitaufwendig. Deshalb fand am 12. Mai 2021 ein Gespräch zwischen Blümel, Peschorn, den "Ibiza"-Fraktionsführer:innen und dem Vorsitzenden des U-Ausschusses, Sobotka, statt. Der bereits ins Spiel gebrachte Datenraumvorschlag wird erneut vorgeschlagen und erneut abgelehnt.

Doch jemand bewegte sich: Am 17. Mai 2021 berichtete die Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, dass der Finanzminister gerade noch "die Kurve gekratzt" habe. Er habe eine Neueinstufung der Akten vorgenommen, sagte sie. Ein Anruf später die Bestätigung: Bestimmte Teile der bereits gelieferten Stufe-3-Papierakten wurden durch die Mitarbeiter:innen des Finanzministeriums herabgestuft (Klassifizierungsstufe 1 - "eingeschränkt") und am 17. Mai 2021 in Form eines USB-Sticks an den U-Ausschuss übermittelt. Nun nahmen wieder Urheber:innen die Klassifizierung vor - nicht das Kabinett. Bis 26. Mai 2021 erfolgten drei weitere Lieferungen in digitaler Form.

Zwischen den Stühlen

Am 18. Mai 2021, einen Tag nach der ersten USB-Stick-Lieferung aus dem Finanzministerium, teilte Grünen-Klubchefin Maurer offiziell mit, dass ihre Partei einer zweiten Verlängerung des U-Ausschuss (nur mit Mehrheit möglich) nicht zustimmen werde. Zwei Tage später debattierte der Nationalrat über die mögliche Verlängerung: Für die ÖVP kam "eine Verlängerung dieses Ausschusses [...] überhaupt nicht infrage" und nach Ansicht der Grünen hätten drei weitere Monate ohnehin nicht ausgereicht, um die gelieferten Akten noch zu bearbeiten - und: "Die Verlängerung um drei Monate [...] würde bedeuten, dass wir riskieren, in Neuwahlen zu gehen", sagte Maurer.

Ein anschließender Antrag für eine geheime Abstimmung über den SPÖ-NEOS-Antrag zur erneuten Verlängerung des U-Ausschusses wurde ebenso abgelehnt wie der Antrag selbst. Bei einer geheimen Abstimmung hoffen Antragssteller:innen auf ein paar zusätzliche Stimmen von Klubabweichler:innen. In diesem Fall geschah das nicht - und nicht wenige Abgeordnete der Grünen stimmten wohl zähneknirschend mit der ÖVP und zugleich gegen eine Verlängerung. Zwei weitere Versuche, den U-Ausschuss fortzusetzen, wurden am 16. Juni 2021 und am 7. Juli 2021 ebenfalls abgelehnt.

Die Grünen begründeten ihre Ablehnung auch damit, dass die Opposition anschießend ohnehin einen neuen U-Ausschuss einsetzen könne (was mit dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss auch geschah). Nicht gesagt wurde, dass mit einem U-Ausschuss "Ibiza 2.0" gleichzeitig die Chance, das Coronavirus-Pandemiemanagement der ÖVP-Grünen-Bundesregierung parlamentarisch zeitnah zu untersuchen, schwindet. Eine solche Idee existierte, aber ob ein - nicht unwichtiger, weil auch präventiver - CoV-Untersuchungsausschuss je ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, kann nicht gesagt werden.

Viel Tinte vor Exekution

Mitte Mai war die Causa Blümel aber noch nicht gegessen. Einen Monat nach der Papierlieferung aus dem Finanzministerium teilte die SPÖ am 9. Juni 2021 dem Finanzminister per E-Mail mit, dass die vorgelegten Akten und Unterlagen noch immer unvollständig seien (eine erste E-Mail hat Blümel aber nicht erhalten, weil die E-Mail-Adresse "gernot.bluemel@bmf.gv.at" nicht existierte, das Schreiben wurde dann an "post@bmf.gv.at" übermittelt). Im U-Ausschuss betonte Blümel, dass die jeweiligen Bediensteten entschieden hätten, welche Dokumente und Akten Untersuchungsausschuss-relevant sind. Zudem mussten sie Vollständigkeitserklärungen unterzeichnen.

Am 16. Juni 2021 antwortete Blümel der SPÖ, dass bereits alles geliefert wurde. Am darauffolgenden Tag wurden "ursprünglich irrtümlicherweise nicht gelieferte Akten und Unterlagen" nachgeliefert. Gleichzeitig wandte sich die Opposition an den Bundespräsidenten und bat um die Vollstreckung des VfGH-Erkenntnisses vom 3. März 2021. Am 18. Juni 2021 erhielt Van der Bellen das Schreiben und erkundigte sich beim Höchstgericht, ob der Exekutionsantrag vom 5. Mai 2021 überhaupt noch aufrecht sei. Am 21. Juni 2021 übermittelte Peschorn dem U-Ausschuss eine Stellungnahme von Abteilungsleiterin Zanetta, wonach die Aktenlieferung vollständig sei. Zur selben Zeit stellte der Finanzminister beim Bundespräsidenten einen Antrag auf Einstellung des Exekutionsverfahrens.

Doch Van der Bellen wartete auf eine Antwort des Höchstgerichts. Ist der Bundespräsident noch zuständig? Braucht es einen neuen Exekutionsantrag des VfGH? Wieder alles von vorn?

Der Bundespräsident sei für die weiteren Schritte zuständig, teilten die Höchstrichter:innen am 23. Mai 2021 mit. Nachdem klar war, dass der Van der Bellen das letzte Wort hat, trudeln weitere Schreiben in der Hofburg ein: Die Opposition betonte, dass der Finanzminister nicht alle geforderten E-Mails geliefert habe, der Finanzminister erklärte wiederum, dass er seiner Verpflichtung vollkommen nachgekommen sei.

Ende einer Causa

"Kurz gesagt: Die einen sagen so, die anderen sagen so", fasste der Bundespräsident noch am selben Tag zusammen und kündigte zugleich die Exekution des VfGH-Erkenntnisses vom 3. März 2021 an. Da Van der Bellen in seiner Rede von einer "Art Informationssicherungsverfahren" sprach, weil er weder die Vollständigkeit noch die Unvollständigkeit der Aktenlieferung bestätigen könne, war es dem Finanzminister wichtig, das Wort "Exekution" kleinzuhalten.

Exekutionsanordnung

Exekutionsanordnung des Bundespräsidenten

Am 24. Juni 2021 ordnete das Staatsoberhaupt die Exekution durch das Landesgericht für Strafsachen in Wien an: Die zuständige Richterin muss die vollständigen E-Mail-Postfächer von drei Mitarbeiter:innen und die gesendeten E-Mails von fünf Personen sicherstellen. Von der Vorlagepflicht sind rein private Dateien und jene, die dem U-Ausschuss bis zum 3. März 2021 bereits vorgelegt wurden, ausgenommen.

Die zuständige Einzelrichterin besorgte sich bis 2. Juli 2021 die geforderten E-Mails über das Bundesrechenzentrum "als für das Bundesministerium für Finanzen tätige Auftragsverarbeiterin". Anschließend wurden die Korrespondenzen gesichtet und Nachrichten privater Natur aussortiert. Am 9. Juli 2021, 129 Tage nach dem VfGH-Erkenntnis vom 3. März 2021, übermittelte das Straflandesgericht Wien dem "Ibiza"-U-Ausschuss die E-Mail-Postfächer. Am selben Tag erklärte Blümel, dass ein vom Bundespräsidenten beauftragtes Organ andere rechtliche Möglichkeiten habe als ein Dienstgeber, der beispielsweise die E-Mails von Mitarbeiter:innen nicht sichten dürfe.

Die Datenlieferung vom 9. Juli 2021 markierte das Ende eines seit Monaten andauernden Geplänkels. Die übermittelten E-Mails konnten noch bis Mitte September 2021 gesichtet werden. Die ÖVP wollte allerdings keine neuen Inhalte gefunden haben, Opposition und Grüne hingegen schon. In den Befragungen konnte "Neues" allerdings nicht mehr ausgiebig thematisiert werden: Denn sechs Tage nach der Vorlage endete die Beweisaufnahme des "Ibiza"-U-Ausschusses.

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