Weltverbessererstudium

Irgendwann wurde es mir in Kärnten zu eng. Ich suchte nach neuen Möglichkeiten. In Wien und in Graz wollte ich gar nicht erst auf Erkundungstour gehen. Was habe ich davon, mit Anfang 20 in eine Stadt zu ziehen, wo ich erneut auf Kärntner und Kärntnerinnen treffe? So dachte ich damals: Bloß Distanz zu meinem Heimatbundesland. Das Ausland konnte mir wegen der mangelnden finanziellen Mittel nicht vorstellen. Also suchte ich meine Zukunft in Linz. Dort kannte ich niemanden und niemand kannte mich – also ein bisschen Ausland. In der “Stahlstadt” habe ich gearbeitet und studiert. Vor wenigen Tagen habe ich eine längst vergessene Reportage gefunden, die ich über das Studium verfasst habe.

[Aus 2014, leicht adaptiert] Den Raum K033C würde niemand als einladend bezeichnen. Beigefarbene Vorhänge aus Polyester, die wegen Sicherungsvorkehrungen schwerentflammbar sein müssen; wackelige Holzstühle, die mit den eingebuchteten Sitzflächen für ein komfortables Sitzvergnügen sorgen sollen (vergebens); graueingerahmte Fenster, schmal und knapp unter der Betondecke platziert; die grüne Tafel, an der mit braunen Ziegeln verzierten Wand war, bestimmt schon grüner und die Industrielampen erhellen den Raum nur spärlich. K033C erinnert vielmehr an einen Luftschutzkeller. Ein Raum also, der Schutz vor äußerer Gewalt bieten soll. Die einundzwanzig Personen, die sich am Dienstagnachmittag dort eingefunden haben, brauchen keinen Schutz. Denn sie sind diejenigen, die Hilfe anbieten, die sich für etwas einsetzen, die zeigen, dass es auch anders gehen kann. Sie studieren den Masterstudiengang Politische Bildung.

Pizzaautomat als Höhepunkt für die Tochter

Politische Bildung, kurz PoBi, befindet sich am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. Die Anzahl der PoBi-Studierenden befindet sich derzeit auf einem Rekordhoch: 253 Personen sind inskribiert. Eine von diesen 253 Weltverbesserern ist Andrea. 2015 könnte sie ein Jubiläum feiern. Zwanzig Jahre ist es dann her als sie sich entschloss, Sozialwirtschaft zu studieren. Jetzt, seit dem Wintersemester 2013/14, sitzt die Mutter zweier Töchter (vierzehn und elf Jahre jung) abermals an der Universität und hört einer Vortragenden zum Thema Politik – Recht – Geschlecht zu. Andrea ist in Bildungskarenz und für ein ganzes Jahr Vollzeitstudierende; sie genießt es in vollen Zügen.

Auch ihre Töchter finden es klasse, dass die Mama wieder studiert. Mit der Jüngeren war sie im Februar auf der JKU. Dabei war der Pizzaautomat vorm Ch@t das größte Highlight. Für Andrea selbst war die Bildungskarenz ein erfreulicher Zufall. „Ich war damals nie in Elternkarenz. Meine älteste Tochter bekam ich während des Sozialwirtschaftsstudiums und auch bei der Jüngsten war ich nicht in Karenz.“

Die vielfältigen Zugänge in der Politischen Bildung haben es ihr angetan. Sie nennt es „Weltverbessererstudium.“ Das meine die 41-Jährige aber nicht negativ: „Die Leute hier haben ein soziales Engagement, sie sind aktiv und kümmern sich um die Gesellschaft.“ Sie selbst will aufklären und zeigen, dass etwas schiefläuft, denn „gewisse Themen müssen erst zum Thema gemacht werden“, erklärt Andrea, die im beruflichen Leben als Sachwalterin beschäftigt ist.

Die tiefgründigen Gespräche gehen ihr an der Universität aber ab. Für sie werde nämlich nicht mehr so richtig diskutiert; es gebe nur noch Wortmeldungen, aber keine kritischen Äußerungen. Das findet die 41-Jährige schade. Umso mehr freut sie sich jedoch auf eine Studienreise zu Pfingsten. Wenn sie darüber spricht, werden ihre Augen größer und sie lächelt. „Zu Pfingsten geht es nach Ruanda, mit einigen Studierenden.“

Zehn Minuten Pause. Die einen gehen raus, schnappen Luft, die anderen diskutieren über Allerweltthemen.

Zehn Kühe im Dorf

Zwölf Minuten später, zwei Minuten über der geplanten Zeit, setzen sich die Studierenden wieder auf die eingebuchteten Sitzflächen der braunen Holzstühle. Kaum Platz genommen, zeigt Jasmin auf und meldet sich zu Wort. Auch die 23-Jährige hat den Weg in den Raum K033C gefunden. Sie sitzt hinter Andrea. Jasmin kommt aus einem Dorf, in dem insgesamt “zehn Kühe wohnen”. Sie lächelt und zwinkert. „Das Dorf ist klein, da kennt sich jeder. Die meisten wissen auch, dass ich nun an der JKU Politische Bildung studiere, können es aber schwer einordnen“, erklärt sie.

Ihren Bachelor hat sie in Salzburg gemacht, Politikwissenschaft. Dann wollte sie eigentlich ihren ersten Schritt in die Berufswelt setzen. „Aber versuch das mal. Mit einem Bachelor in Politikwissenschaft, als Frau und beruflich unerfahren. Das ist nicht so einfach.“ Deshalb nahm Jasmin eine Stelle im technischen Bereich an, aber „mir starben die Gehirnzellen ab. Das war nichts für mich.“ Ein halbes Jahr reichte vollkommen.

Jetzt sitzt sie im Raum K033C, hört der Vortragenden zu und diskutiert mit ihren Kommilitonen. „Ich habe mich überall umgesehen. Las mir auch die Curricula durch. Dann habe ich das Studium Politische Bildung entdeckt. Einfach klasse. Gender und Geschichte, meine Fächer”, sagt sie. Zuerst dachte die 23-Jährige, dass es sich um eine Lehrerausbildung handle. „Das war wohl ein Missverständnis“, gibt sie zu und ist wieder bei der Sache. Im Gegensatz zu Politikwissenschaft in Salzburg seien die Anforderungen zwar nicht so hoch, aber der Ansporn etwas zu tun, sei gewaltig. Praxisnahe Themen, Projekte und der persönliche Kontakt zu den Lehrenden haben den entscheidenden Nerv bei Jasmin getroffen.

Wäre da nur nicht die Pädagogik. Auf diesen Zweig könne sie verzichten. „Aber Genie und Wahnsinn gehört ja irgendwie auch zusammen“, sagt sie, dreht sich weg. Für den Tag der Politischen Bildung am 23. Mai soll sie nun mit anderen PoBi-Studierenden ein Magazin veröffentlichen. „Da will ich eigentlich hin. In den Journalismus.“ Wenn sich ihr Wunsch nicht erfüllen sollte und sie nichts anderes im Medienbereich findet, dann kann sie sich auch etwas in der Erwachsenenbildung vorstellen.

Die Älteren sind cool

Im selben Gebäude, aber am anderen Ende, sitzt Marcus Gräser. Das Büro des Institutsvorstands für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der JKU befindet sich zwei Stockwerke über den Raum K033C. Zunächst durchschreitet man das Sekretariat, dreht sich nach rechts und blickt in das mit US-amerikanischer Literatur gespickte Zimmer. „Poverty and Society“ von Daniel Levine steht in einem der vielen Bücherregale. Levine setzt sich mit dem US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat im internationalen Vergleich auseinander. Auch Marcus Gräser beschäftigt sich mit Wohlfahrtsstaaten; genauer gesagt mit deren Geschichte und Entwicklung.

Seit 2011 ist der gebürtige Hesse nun an der Johannes-Kepler-Universität und lehrt auch in einigen Lehrveranstaltungen der Politischen Bildung. Als „brotlose Kunst“ wurde das Geschichtsstudium oft bezeichnet, erzählt der Historiker mit seiner markant tiefen Stimme. Deshalb haben auch so viele in seinem Alter damals Rechtswissenschaften oder Betriebswirtschaft studiert. Sie wollten sich für die Zukunft vorbereiten.

Das Studium der Politischen Bildung an der JKU kombiniere Wissenschaft und Berufspraxis. Gräser gefällt die bunte, vielfältige Truppe, die das ganze Studium richtig belebt. Die Älteren im berufsbegleitenden Studium bezeichnet der Professor als „cool“. Sie würden den Jüngeren ein Stück Orientierung bieten: „Sie haben schon Berufserfahrungen und können diese an die noch Unerfahrenen weitergeben.“

Obwohl die Politische Bildung derzeit der einzige Masterstudiengang der geistes- und kulturwissenschaftlichen Studien ist, wisse die JKU ganz genau, was sie an der Politischen Bildung hat. „Ein interdisziplinäres, praxisorientiertes Studium, sozusagen ein Scharnier zwischen Universität und Öffentlichkeit, eine gesellschaftspolitische Drehscheibe“, schwärmt der Historiker und lässt sich in den Sessel fallen.

„Uns stört doch noch etwas”, sagt Gräser. Er legt seinen Daumen auf sein Kinn, die Spitze seines rechten Zeigefingers an die Wange. Es bilden sich kleine Fältchen auf seiner Stirn: „Es gibt noch keine Lehrbefugnis für Absolventen und Absolventinnen. Aber in der Debatte um Lehramtsstudien an der JKU sind wir am Drücker.“ Mit der Politischen Bildung habe sich die JKU als Nukleus im deutschsprachigen Raum positioniert und stehe damit in der Pole Position.

“Danke für die Aufmerksamkeit”

Die Lehrveranstaltung im K033C neigt sich dem Ende zu. Die einundzwanzig Personen richten sich langsam auf, strecken sich. Die Stühle knarren; die eingebuchteten Sitzflächen haben den Studierenden nicht zu einem bequemeren Sitzen verholfen. Das spielt aber keine Rolle. Mit „Danke für die Aufmerksamkeit. Schönen Abend noch“, beendet die Vortragende den heutigen Kurs der Politischen Bildung. Sie gehen raus und wollen die Welt ein bisschen verbessern.

 

[Der Text erschien vermutlich 2014 in der Zeitschrift der JKU-ÖH. Ganz sicher bin ich mir nicht mehr]

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