Exkurs: “Arrival”
Neben meiner journalistischen Tätigkeit bin ich im Herzen noch immer ein Filmtheoretiker. Deshalb stelle ich euch heute ein interessantes Stück zu „Arrival“ (2016) von Denis Villeneuve vor. Ich habe meine Recherche im Jahr 2024 auf “X” gepostet. Hier ist sie aber wesentlich besser aufgehoben. Viel Spaß.
Ich habe mich intensiv mit „Arrival“ beschäftigt. Mit Kritiken über Filme kann ich wenig anfangen. Sie haben ihre Berechtigung, meiner Meinung nach gehen sie allerdings oft am Kern vorbei. Lieber studiere ich Analysen, die Filme nicht bewerten, sondern in ihre Einzelteile zerpflücken. Empfehlenswert ist etwa die Reihe „Film-Konzepte“, in der renommierte Wissenschafter:innen die Werke bekannter Filmemacher:innen analysieren.
Kommen wir zu „Arrival“ und zum Plot: Aliens landen auf der Erde. Insgesamt sind es zwölf außerirdische Raumschiffe an zwölf verschiedenen Orten. Freilich verstehen Aliens und Menschen einander nicht. Also muss eine Linguistin her. Louise Banks, gespielt von Amy Adams, soll versuchen, mit den Heptapoden (wegen ihrer sieben Gliedmaßen werden die Außerirdischen so genannt) zu kommunizieren und herauszufinden, warum sie überhaupt auf der Erde sind und was sie hier wollen.
Kommunikation ist per se eine Sache für sich. Was unter Menschen schon oft schwierig ist, obwohl man dieselbe Sprache spricht, ist im Fall von „Arrival“ etwas komplizierter. Banks weiß weder, welche Sprache die Heptapoden sprechen, noch ob es überhaupt möglich ist, mit ihnen zu kommunizieren.
Nach einiger Zeit wird klar: Die Aliens können kommunizieren. Heptapoden schießen kreisförmige, vor allem nicht-lineare Symbole in die Luft. Es handelt sich dabei um Semagramme. Sie implizieren auf eine bestimmte Weise eine Bedeutung in einem bestimmten Kontext, ohne dabei auf Phonetik (Laut) zurückzugreifen. Das klingt kompliziert. Ist es auch.
Also: Ein einzelnes Symbol kann einen einfachen („Hallo“) oder einen komplexen Gedanken („Hallo Louise, ich bin ein Alien, aber ich komme in Frieden“) ausdrücken. Der Unterschied liegt in der Struktur des Kreises. Ändert sich im Kreis nur ein Strich, ändert sich auch die Bedeutung. Gleichzeitig existieren für Heptapoden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem. Das heißt: Auch die kreisförmigen Symbole zeigen alles in einem.
Das war mal kurz umrissen der Plot, mehr will ich dazu gar nicht sagen. Viel spannender ist eigentlich das Rundherum. Das, was davor passiert ist, und was das dann mit dem Film gemacht hat.
Die Heptapoden sprechen zwei Sprachen: A [Lautgeräusche] und B [Zeichen]. Diese wurden bereits im Buch „Story of Your Life“ von Ted Chiang beschrieben. Für den Film brauchte man aber nicht nur eine Beschreibung, wie das im Buch vorkommt. Will man im Film die außerirdische Kommunikation zeigen, muss man sie zunächst kreieren. Also entstand eine Zeichensprache (B).
„Arrival“-Drehbuchautor Eric Heisserer war aber sehr unzufrieden mit seinem Werk. Wie er hier im Interview sagte, ließ er sich unter anderem von „Der Herr der Ringe“ inspirieren. Er schickte seine Ideen an Patrice Vermette, Artdirector von „Arrival“. In einem Interview erklärte er, dass man eine „ästhetisch interessante“ Alien-Sprache erschaffen wollte. “Aber sie musste unserer Zivilisation, unserer Technologie und allem, was unser Verstand kennt, fremd sein.”
Klar war, dass die Sprache kreisförmig sein soll (für die Aliens ist Zeit, die im Film von Relevanz ist, nicht-linear und das sollte sich in ihrer Sprache widerspiegeln).
Beratungen mit Linguist:innen und Grafikdesigner:innen verliefen im Sand. Am Ende sah jeder Entwurf wie ein Abbild von Hieroglyphen aus, also zu menschlich und zivilisiert. Dann schlug Kostümbildnerin Martine Bertrand vor, eigene Skizzen selbst anzufertigen. Die Vorgabe von Vermette lautete: „No human, in a circle, cursive, we don’t know at beginning if it’s a language or threat.”
”Einen Tag später lieferte Bertrand erste Entwürfe. Vermette war begeistert. Über Nacht wurde aus Bertrand eine Alien-Sprachen-Designerin.
Man griff nun auf ein Skizzenset von 15 Symbolen zurück, die jeweils auf ihre besondere Art eine Bedeutung mitliefern. Am Ende entstand ein Heptapod-Wörterbuch mit an die 100 Symbole (hier ein paar davon).
Soweit ich weiß, wurden die Symbole nicht regelgeleitet systematisiert. Es handelte sich in erster Linie um Kunst.
Doch wie analysiert man Kunst bzw. eine Zeichensprache, die neu und auf so vielen Ebenen komplex ist? Für diese Frage engagierte das Filmteam den renommierten Mathematiker und Informatiker Stephen Wolfram und dessen Sohn Christopher. Sie sollten die Skizzen analysieren und gegebenenfalls (de-)codieren.
Das Vorgehen dahinter – einfach erklärt – bezweckte, dass hinter den nach Tintenflecken aussehenden Symbolen bestimmte Muster stecken, die entschlüsselt werden können.
Wolfram beschreibt hier, wie sein Sohn die Codes programmiert hat, und hier gibt’s ein Video davon.
Für die Analyse wurde etwa ein Symbol, das auch aus mehreren überlagerten Semagrammen bestehen konnte, in zwölf Sektionen aufgeteilt. Mit der Wolfram-Software konnte innerhalb einer Sektion weiter analysiert werden.
Warum zwölf? Die Zahl nimmt im Film einen besonderen Stellenwert ein: Zwölf Raumschiffe landen in zwölf unterschiedlichen Gegenden.
Außerdem geht es im Film um Zeit: Die Symbole werden in zwölf Abschnitte geteilt, ähnlich einer Uhr. Hier wird zudem beschrieben, dass die Zahl zwölf auch mit dem Ende der Welt verknüpft wird.
Zurück zu den Wolframs: Vater und Sohn erstellten auf Basis von Bertrands Originalskizzen und mithilfe eines Codes eine Alien-Sprache. In einem Interview sagte Stephen Wolfram, dass er an den Skizzen aus grammatikalischen Gründen noch etwas geändert hätte, wären sie früher in den Prozess involviert gewesen.
Okay. Wir haben die Skizzen, wir haben die Codes und wir haben das Wissen, dass wir sie knacken können. Jetzt stellt sich ja nur noch die Frage: Wie geht man als Linguist bzw. Linguistin beim Verstehen einer außerirdischen Sprache um? Ein simples „Hallo“ wird nicht reichen.
Deshalb wurde Jessica Coon als wissenschaftliche Beraterin hinzugezogen. Wie Louise Banks in „Arrival“ ist Coon eine Linguistin, die im Feld forscht. In Mexiko stand sie etwa mit Ch’ol sprechenden Menschen in Kontakt. Sie selbst spricht kein Ch’ol, sollte aber mehr über die Sprache erfahren.
In einem Beitrag schrieb Coon, dass der Vergleich zwischen ihr und Banks nicht fair sei: „For one thing, my job in Chiapas was to learn about the grammar of Ch’ol, a language spoken by around 200,000 indigenous Maya people in southern Mexico (…) Dr. Banks’ job, on the other hand, was to decipher Heptapod, a language spoken by at least two giant aliens from somewhere deep in outer space.”
Coon wurde gebeten, das Skript und die Sprache zu studieren. Sie sollte als ethnografische Linguistin beschreiben, wie sie vorgehen würde, um die künstlich geschaffene Sprache zu verstehen. Sie schlug noch Änderungen vor, die umgesetzt wurden.
Die Linguistik-Community war sehr zufrieden mit der Darstellung ihres Wissenschaftszweigs. Man hätte Linguisten nicht besser porträtieren können.
Jedoch gab es noch eine wesentliche Kritik: Der Film werde zu stark auf die nicht unumstrittene Sapir-Whorf-Hypothese (kurz: Sprache beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen) zugespitzt. Die Kritik ist wohl darauf zurückzuführen, weil Banks am Ende des Films … keine Spoiler!
Wie Linguistin Coon aber wohl nicht zu Unrecht anmerkte: “The Sapir-Whorf hypothesis is not a minor element, but an integral part of the plot in Arrival – if you remove it, you just have a linguist talking to aliens, and the movie is much bigger than this.”
Der Film „Arrival“ wurde im Vorfeld äußerst detailgetreu geplant. Die Rolle der Wissenschaft wird deutlich, wenn man sich den Streifen öfters ansieht. Und trotzdem gibt es am Ende noch ein bisschen Hollywood:
Auf die Frage, auf welche „cringeworthy moments“ sich echte Linguisten und Linguistinnen vorbereiten müssen, wenn sie den Film sehen, verwies Coon auf die Szene, als Colonel G.T. Weber (Forest Whitaker) im Büro von Linguistin Banks auftaucht und sagt: „You are on the top of everyone’s list when it comes to translations.“
Linguistin Coon: „Linguists are really not translators. This is a separate skill set. I could not translate anything for anybody.“